Freitag, 9. September 2011
Wenn wir diese Kreuzfahrt "Rund um West-Europa" nicht gebucht hätten, wäre Vigo vermutlich weiterhin eine Unbekannte mit vier Buchstaben geblieben. So wissen wir immerhin, dass die im äußersten nordöstlichen Zipfel Galiciens gelegene Stadt knapp 300.000 Einwohner zählt. Vigo ist damit die größte Stadt Galiciens und kann darüber hinaus die größte Fischereiflotte von ganz Spanien vorweisen. Imponierende Fakten, die uns jedoch nur am Rande interessierten. Entscheidendes Kriterium für uns war einzig die Tatsache, dass von Vigo Ausflüge nach Santiago de Compostela angeboten werden.
Ein Blick aus der Balkonkabine stimmte uns auch in Sachen Wetter optimistisch. Die Sonne blinzelte schon verstohlen hinter einigen Wolken hervor, als wir gegen 8.00 Uhr im Hafen von Vigo ankamen. Nach dem Frühstück im Tiziano trafen wir uns um 8.15 Uhr im Salon Corallo, um unsere Busnummern in Empfang zu nehmen. Erneut stand ein ganztägier Ausflug mit 9 Stunden Dauer auf dem Programm. Santiago de Compostela zählt neben Jerusalem und Rom zu den wichtigsten heiligen Stätten des Christentums. Wir waren daher sehr gespannt, was uns der Tag bringen würde.
Mit der Reiseleiterin hatten wir wieder Glück. Rosa Maria, eine attraktive schwarzhaarige Galicien-Expertin, die in Deutschland aufgewachsen war und ihr Abitur gemacht hatte, brachte uns "Unser Land", wie sie sich immer wieder ausdrückte, näher. Während der ca. 80-minütigen Fahrt nach Santiago erzählte uns Rosa Maria viel über Land und Leute. Sehr interessant waren die Erläuterungen zu den so genannten "Rias", die vordergründig aussehen wie die Fjorde in Norwegen. Tatsächlich sind diese tief in das Land eindringenden Meeresbuchten durch Überflutungen von Festlandsflächen und nicht durch Gletscher entstanden. Die Ria von Vigo ist 30 Kilometer lang und im Gegensatz zu den norwegischen Fjorden sind Rias deutlich flacher. Die meisten dieser Rias findet man an der westspanischen Atlantikküste. Charakteristisch für Galicien sind weitläufige Wälder, die einen hohen Anteil an Eukalyptusbäumen haben. Aber auch die Textilindustrie ist hier angesiedelt, die bekannte Marke "Zara" hat ihren Ursprung in Galicien.
Das "Today" versprach heute Temperaturen von maximal 20 Grad und teilweise Sonne. In Vigo entsprach diese Vorhersage auch den tatsächlichen Gegebenheiten, leider versteckte sich die Sonne zunehmend hinter Wolken. Zu allem Überfluss gesellte sich auch noch Nebel dazu, so dass die Sicht auch schlechter wurde. Rosa Maria verscheuchte mit ihrem unterhaltsamen Redefluss jedoch schnell eventuell aufkommende Skepsis.
Als wir uns Santiago näherten, trichterte uns die besorgte Rosa Maria die genaue Zeit unseres Treffpunkts ein und erläuterte die Handhabung des Headsets. Ein sehr praktisches Hilfsmittel, wie wir fanden. Jeder Teilnehmer erhält kleine Kopfhörer, die gerne die Angwohnheit haben, sich selbständig zu machen, und ein kleines Kästchen, mit dem man die Lautstärke des Sprechers einstellen kann. Man ist dadurch freier in seinen Bewegungen und merkt auch relativ schnell, z.B. bei ausbleibendem Ton, dass man sich zu weit von seiner Gruppe entfernt hat.
Nach der Ankunft in Santiago gegen 10.00 Uhr, stellte der Fahrer den Bus am Parkplatz ab und dann reihten wir uns ein in die gefühlten 10.000 Besucher, von denen vermutlich jeder zweite auf dem Weg zur Toilette war. Als auch das erledigt war, sammelte Rosa Maria ihre Schäfchen und wir machten uns auf den Weg in das Herz von Santiago de Compostela.
Noch ein paar Fakten zur Stadt: Santiago de Compostela ist mit seinen etwa 95.000 Einwohnern die Hauptstadt Galiciens, einer der berühmtesten Wallfahrtsorte, Standort einer Universität und steht seit 1985 auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Nicht zuletzt die 40.000 Studenten und die bis zu 2.000 Pilger täglich sorgen dafür, dass in der "Stadt aus Stein", als die Santiago auch bezeichnet wird, Grabesstimmung erst gar nicht aufkommt. Die Straßen und Gassen sind voller Leben und manchmal stellt man sich die Frage: wer war eigentlich zuerst hier, der Heilige Jakob oder die Souvenirgeschäfte? Seit Hape Kerkelings Reise ist die Stadt noch populärer geworden und auch für uns waren die Schilderungen des Entertainers ein Grund, sich mit dieser Stadt näher zu beschäftigen. Dass dies im Rahmen einer Kreuzfahrt naturgemäß nur bruchstückhaft sein kann, liegt auf der Hand. Wir stellten aber sehr schnell fest, dass wir bei weitem nicht die einzigen an diesem Tag waren, die Santiago näher in Augenschein nehmen wollten.
Die Herrschaften in den Oldtimern fanden ein Treffen in dieser weltberühmten Pilgerstätte vielleicht "schick", jedenfalls hupten sie uns völlig unreligiös von der Seite an, aber bei den Menschenmassen, wie hier auf dem Bild rechts, war ein Durchkommen sowohl mit dem Auto als auch zu Fuß ein Geduldsspiel. Für die Pilger, die man hier auf beinahe jedem Pflasterstein antrifft, ist die Geduld aber ohnehin eine Tugend, haben sie es auf ihrem langen Marsch zu sich selbst doch gelernt, sich auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren. Die Oldtimer in den dazugehörigen Autos haben das bei ihrem Aufenthalt in Santiago vielleicht auch erfahren!
Nicht nur für Pilger, sondern in erster Linie für die Touristen, werden auf den Gehwegen von fleißigen Händen Teller bereit gehalten. Hier werden meist Spezialitäten Galiciens, z.B. Mandelgebäck o.ä. angeboten.
Derart gestärkt lässt es sich doch gleich wieder viel leichter marschieren. Da der Himmel keine Lichtblicke bot, der Hochnebel nahm leider zu, konzentrierten wir uns eben auf das Irdische. Und davon hat Santiago de Compostela jede Menge zu bieten. Zum Teil ist das Dargebotene nicht zu unterscheiden von dem, was man auch in anderen Städten dieser Welt sieht, wie z.B. dieser junge Mann, der auf einem Podest posiert:
Aber sein Pilgerstab weist ihn sofort als "Heiliger Jakob" aus und eine derartige "Erscheinung" trifft man andernorts eben nicht. Da er sich seinen Standplatz auch noch vor dem ehemaligen Benediktiner-Kloster Sankt Martin Pinario auserkoren hat, zieht er automatisch viele Blicke auf sich. Neben der Kathedrale handelt es sich hier um das bedeutendste Bauwerk Santiagos. Leider machte uns auch hier der Nebel einen Strich durch die Rechnung, so dass die Schönheit und die Erhabenheit dieser alten Gebäude buchstäblich etwas verblasst. Nur gut, dass an diesem Ort die Sinne nicht völlig vernebelt werden, dafür sorgen auch Straßenmusikanten wie diese hier:
Beim Dudelsack handelt es sich um ein Instrument, das untrennbar mit der traditionellen Musik Galiciens verbunden ist. Bis zum Besuch in Santiago waren wir auch der Meinung, dass diese Instrumente ausschließlich in Schottland beheimatet sind.
Auf unserem weiteren Weg durch die Altstadt mussten wir trotz Headset immer auf der Hut sein, dass wir unsere Gruppe nicht verlieren. Es gab einfach zu viele Ablenkungen. So ging es vorbei an Säulen, Denkmälern, manchmal auch nur Geschäften mit für uns exotischen Speisen. Natürlich sahen wir auch immer wieder die Jakobsmuschel, die der Überlieferung zufolge dem Wanderer als Hilfsmittel beim Schöpfen von Wasser diente. In Santiago ist die Jakobsmuschel nicht nur fester Bestandteil diverser Speisekarten, sondern sie ist vor allem "das Symbol" der Pilger, die sich die Muschel als Pilgerkennzeichen an ihre Rucksäcke oder Wanderstäbe binden.
Dann war es endlich an der Zeit, die Kathedrale zu betreten, dessen Hauptfassade wir schon aus allen möglichen Blickwinkeln fotografiert hatten.
Durch den Nebel, die vielen Menschen und die ständige Konzentration auf den Vortrag der Reiseleiterin hatten wir gänzlich die Orientierung verloren. So hatten wir gar nicht bemerkt, dass die Kirche gleich von vier Plätzen umgeben ist. Wir haben die Kirche mit unserer Gruppe von der Plaza del Obradoiro von Westen her betreten. Wenn man hier die Treppen hochsteigt und die 75 Meter hohen Türme fast berühren kann, wird einem die Einmaligkeit des hiesigen Barocks erst so richtig bewusst. Nach der compostelanischen Dokumentation wurde das Grab von Jakobus im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts entdeckt, mit dem Bau der heutigen Kathedrale wurde im Jahr 1075 begonnen.
Über die eindrucksvolle Doppeltreppe gingen wir hoch, mussten uns dann jedoch gedulden, bis wir endlich ins Kircheninnere gelangten. Die Menschenmassen nahmen zu, es war eng, stickig und laut. So konnten wir leider auch nur Bilderfetzen eines der bedeutendsten Kunstschätze, der Portico de la Gloria von Meister Mateo wahrnehmen.
Trotzdem verfehlte das gewaltige Mittelschiff mit seinen annähernd 100 Metern Länge, 8,50 Metern Breite und beinahe 20 Metern Höhe seine Wirkung nicht. Zum Glück kann der moderne Tourist noch nicht fliegen, so dass wenigstens die Blicke nach oben einigermaßen ungetrübt sind. An einen Abstecher zum Reliquienschrein war unter diesen Umständen jedoch nicht zu denken, es waren einfach zu viele Menschen in der Kathedrale, so dass wir uns auf einen, wenn auch nicht ganz einfachen, Rundgang durch die Kirche beschränkten.
Dem Hauptaltar im Stil des neuen Barock galt unser besonderes Interesse. Ich musste bei seinem Anblick an Majestix, den Chef der Gallier denken, der stets Angst hat, dass ihm "der Himmel auf den Kopf fällt". Irgendwie drohte der überdimensionale Baldachin, der Zeugnis der verschwenderischen Üppigkeit des Barock ist, die Ausmaße der sicher nicht kleinen Kathedrale zu sprengen. Aber die filigranen Schönheiten der Darstellungen begeisterten sicher nicht nur uns. Neben dem Altar ist der 1,60 Meter hohe und 54 kg schwere Botafumeiro, ein riesiges Weihrauchfass, ein weiterer Blickfang. Er hängt an einem 30m langen Seil und wird an hohen Feiertagen von sechs Männern in Bewegung gesetzt. Dabei entstehen Geschwindigkeiten bis 65kmh. Der Hauptgrund für dieses Procedere dürfte allerdings eher darin liegen, dass die Pilger in der Kathedrale bis zum Jahr 1786 gegessen und geschlafen haben und auch das eine oder andere menschlich Notwendige erledigt haben. Allein zur Verbreitung eines angenehmen Geruchs hatte der Weihrauch daher sicher eine sinnvolle Aufgabe.
Im Anschluss an den Rundgang trafen wir uns im Hostal de los Reyes Católicos, das bis Mitte des letzten Jahrhunderts ein Krankenhaus war und 1954 in ein 5-Sterne-Luxushotel umgebaut wurde und zur "Paradores"-Kette gehört. Hier hatte Costa ein Mittagessen für die Ausflügler vorgesehen. Es gab u.a Fischsuppe, die leider überhaupt nicht nach unserem Geschmack war und auch das Hauptgericht ließ etwas zu wünschen übrig, aber es füllte immerhin den Magen und setzte neue Kräfte frei. Das Paradores verfügt über vier sehenswerte Kreuzgänge und auch das Portal ist das eine oder andere Foto wert. Wir hielten uns nicht all zu lange hier auf, weil wir die verbleibende Zeit für einen kleinen Spaziergang durch die Altstadt nutzen und einige Souvenirs kaufen wollten.
Wir schlenderten über den Plaza del Obradoiro, vorbei am Rajoy-Palast mit seiner ansprechenden neoklassizistischen Fassade, der heute Sitz der galicischen Landesregierung ist und in dem das Rathaus von Santiago seinen Sitz hat.
Unser Ziel war der Alameda-Park, der etwa 15-20 Minuten fußläufig vom alten Stadtkern entfernt liegt. Einer der ältesten Parks mit hundertjährigen Eichen, auch viele Studenten nutzen den Park auf ihrem Weg zur Universität. Wir wollten von hier einige schöne Fotos von der Kathedrale schießen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Sie im Alameda-Park auf schweigsame Zeitgenossen wie jenen im unten festgehaltenen Bild treffen.
Mit diesen schönen Aussichten auf die Kathedrale neigte sich unser Besuch in Santiago de Compostela allmählich dem Ende zu. Wir machten uns auf den Rückweg in die Altstadt und besorgten noch einige Souvenirs. Dann trafen wir auf die Gruppe um Rosa Maria und gemeinsam ging es dann zum Bus. Organisatorisch klappte heute wieder alles einwandfrei, die Ausflügler waren diszipliniert, keiner musste auf den anderen warten und die Reiseleiterin verfügte über sehr fundierte Kenntnisse Galiciens und Santiago de Compostelas. Einzig das Wetter spielte nicht ganz mit, aber das kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Persönlich empfand ich unseren Ausflug im Jahr 2010 nach Jerusalem und Bethlehem allerdings deutlich emotionaler und nachhaltiger. Vielleicht müssen wir uns eines Tages wirklich selbst auf den Jakobs-Weg begeben, um die von vielen beschriebenen spirituellen Erfahrungen zu machen.
Auf der Rückfahrt von Santiago nach Vigo verschwand dann allmählich der Nebel, gerade so, als ob da oben einer am Schalter gedreht hätte. Steckten gar "himmlische Absichten" dahinter? Die schönen Aussichten in Vigo ließen keine Zeit für derartige Überlegungen. Ich hatte noch ein kleines Intermezzo mit einer Einheimischen und dann ging es zurück auf die Costa Atlantica, die uns ebenfalls noch einige schöne Abschiedsbilder von Vigo ermöglichte.
Ein langer Tag ging allmählich zu Ende, wieder waren wir mehr als zehn Stunden unterwegs. Es ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass wir die Kreuzfahrt vor fünf Tagen in Deutschland begonnen hatten. In dieser kurzen Zeit haben wir Station gemacht in Dänemark, England, Frankreich und jetzt Spanien. Morgen würden wir in Portugal an Land gehen. Das bietet wirklich nur eine Kreuzfahrt. Bevor es so weit sein würde, genossen wir noch den blauen Himmel in Vigo. Zum Abendessen kamen wir daher erst etwas später und auch der "Cocktail des Tages", heute gab es einen "Mai Tai" für 6,10 Euro im XL-Glas, musste noch etwas warten. Den Abend ausklingen ließen wir im Theater Caruso, wo heute "The Beauty of Magic", die Illusionistin Connie Boyd, die Zuschauer mit ihrem Programm begeisterte.
In der Nacht um drei Uhr wurden die Uhren wieder eine Stunde zurück gestellt. Die Costa Atlantica nahm Kurs auf das 270 Seemeilen entfernte Lissabon. Bevor wir dort anlegen haben Sie noch die Möglichkeit, in einem Fotoalbum mit weiteren Bildern aus Santiago de Compostela zu schmökern:
|
Unsere Reise "Rund um West-Europa" bringt Sie mit dem nächsten Klick zur vielleicht schönsten Stadt Europas. Begleiten Sie uns zu einem Tagesausflug in Portugals Hauptstadt.
Start Reisebericht | Lissabon | Schiffsbesichtigung |