Dienstag, 17. Juli 2018 (Longyearbyen, Spitzbergen)

Seit der Abfahrt in Akureyri hatte die Artania 990 Seemeilen zurückgelegt, die Grönlandsee hatten wir durchquert. Als ich gegen 6.30 Uhr den Vorhang vorsichtig beiseite schob, machte mein Herz schon kleine Jubelsprünge: Sonne. Und die ersten Passagiere waren auch schon vor unserer Kabine, die auf dem Promenadendeck lag, unterwegs. Um 6.00 Uhr kam der Lotse an Bord, ein guter Freund von Kapitän Hansen, wie wir später von ihm erfuhren, mit dem er in den 1980er Jahren gemeinsam Teile seiner Ausbildung absolviert hat. Mit so erfahrenen Seeleuten an Bord kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen.

Bei ruhiger See und sich allmählich zurückziehenden Wolken begann die Passage im Eisfjord. Nun gab es auch für mich kein Halten mehr, ich stand auf zog mich warm an und ging auf’s Promenadendeck und später hoch auf Deck 5 und 6. Im Grunde war es fast egal, wo man stand, die Ausblicke waren überall fantastisch. Ein erster kurzer Film gibt einen Einblick in das, was kommen würde.

Endlich waren wir angekommen in dieser Welt aus Eis und Schnee, die uns Mitteleuropäer doch recht menschenfeindlich vorkommt. Und das Beste daran: je weiter die Artania in die Eiswelt Spitzbergens vorrückte, umso schöner wurde das Wetter. Etwa 60% der Fläche werden nämlich von einer Vielzahl von Gletschern eingenommen und nur 6-7% des Areals sind vegetationsbedeckt. Auf Spitzbergen herrscht Dauerfrost, lediglich die Oberfläche des Bodens taut im Sommer auf. Trotzdem findet man hier ca. 170 Pflanzenarten.

Dass auf Spitzbergen ab Ende April die Mitternachtssonne scheint, macht einen Besuch im arktischen Sommer reizvoll. Ich empfand die Temperaturen wärmer als erwartet oder befürchtet. Natürlich sollte man sich warm anziehen, ein Schal und auch Handschuhe können nicht schaden, zumal an Bord immer auch ein Lüftchen weht. Die Tagestemperatur lag bei etwa vier bis fünf Grad, aber wenn man von der Sonne gestreichelt wird, fühlt sich das auch wärmer an.

Ich war fasziniert von der Bergkulisse, die sich vor mir auftat. Spitze Berge, die der Insel ihren Namen gaben, soweit das Auge reicht. Viele mit Schnee bedeckt, andere kahl und karg und scheinbar ohne jegliche Vegetation. Die Luft war kristallklar, völlig anders als zuhause. Die Zacken der Berge erschienen mir noch konturenreicher als ohnehin schon. Dazu das schmeichelnde Licht der Sonne. Ich machte Fotos und filmte nach Herzenslust, die Regentage in Island waren weit weg und vergessen. Das Hier und Jetzt zählte!

Unser Schiff glitt gemächlich an der Küstenlinie entlang, die Landschaft veränderte sich nur unmerklich. Die ersten verfallenen Häuser wurden sichtbar und man ahnte, dass die menschliche Zivilisation nicht mehr weit war.

 

Als uns die "Spitsbergen", ein Schiff der Hurtigruten begegnete, vollendete sich das Bild, das sich mir für diese Reise eingeprägt hatte: zackige, nackte Felsen, Meer, blauer Himmel.

Pünktlich um 12.00 Uhr erreichte die Artania den Hafen von Longyearbyen.

Die Wettervorhersage bewahrheitete sich, es war sonnig mit ein paar Wolken dazwischen. Das Kreuzfahrtterminal entpuppte sich als Zelt und auch das Anlegen gestaltete sich etwas anders als wir es bisher kannten. So wurde ein schweres Tau per Boot an Land transportiert. Auch das sieht man nicht alle Tage.

Die Stadt, wenn man sie denn als solche bezeichnen will, ist mit etwa 2.000 Einwohnern der größte Ort auf Spitzbergen, das wiederum Teil des Archipels Svalbard ist und zu Norwegen gehört. Der Ort wurde im Jahr 1906 vom US-Amerikaner John Munroe Longyear als Bergarbeiterstadt gegründet. Mittlerweile lebt Longyearbyen hauptsächlich vom Tourismus und der Forschung. Bergbau auf Spitzbergen wird in der heutigen Zeit vor allem in der norwegischen Siedlung Sveagruva und in der russischen Siedlung Barentsburg betrieben, an der die Artania morgen vorbeifahren wird.

Mit dem Shuttlebus, der in Abständen von etwa 10 Minuten von der Anlegestelle in das Zentrum fuhr, kamen wir bequem in das 3 km entfernte Longyearbyen. Von dort hatten wir nur wenige Meter bis zur Post, wo schon Reiseleiter Moritz und ein Kollege mit ganzen Einkaufstüten voller Postkarten unterwegs waren, um die Karten der Passagiere mit Marken zu bekleben und aufzugeben. Ja, auch diese Arbeit gehört zum Job. Wir suchten uns im Postamt auch ein paar Karten aus, eine davon schrieben wir an uns selbst. Seitdem Ny Alesund nicht mehr angefahren wird, bleibt nur noch das Postamt in Longyearbyen.

Der Ort kann seine Vergangenheit als Bergbaudorf auch heute noch nicht verleugnen und will das vermutlich auch gar nicht. Man sieht noch Teile der alten Förderanlagen, die mich unwillkürlich an überdimensionierte Kübellifte in den Dolomiten erinnerten, und ein Bronzedenkmal eines Bergmanns im Zentrum erinnert an längst vergangene Zeiten.

Insgesamt macht die Stadt auf den ersten Blick einen sehr bunten Eindruck, die Häuser sind in allen Farben gestrichen, die man sich denken kann, die übrigens auf Stelzen erbaut wurden oder mit starken Fundamenten versehen worden sind, um der Frostgefahr zu begegnen. Das ist auch der Grund weshalb die Wasserleitungen oberirdisch verlegt worden sind. Es wurde viel unternommen, um der Umgebung die Tristesse zu nehmen, schließlich müssen die Menschen hier auch einige Monate in totaler Finsternis leben, da bringen die Häuser buchstäblich Farbe ins Leben. Auch die soziale Infrastruktur ist bestens ausgebaut, so findet man u.a. drei Kindergärten, eine kleine Universität und mehrere Forschungseinrichtungen von Weltrang. Eine Kirche darf natürlich auch nicht fehlen, die hat übrigens rund um die Uhr geöffnet und ist für jedermann zugänglich. Einen weiterführenden interessanten Artikel zur nördlichsten Kirche der Welt kann man hier nachlesen.

Das Durchschnittsalter der Menschen, die hier leben, beträgt gerade mal 36 Jahre. Ein reichhaltiges kulturelles Angebot erleichtert das Zusammenleben ebenfalls. Und noch eine Besonderheit hat Longyearbyen zu bieten, den globalen Saatguttresor, der 2007 eingerichtet und im Februar 2008 eingeweiht wurde. In künstlichen Höhlen findet sich Platz für 2,25 Milliarden Samen, die Temperatur beträgt permanent -18 Grad Celsius, die Kosten werden auf etwa 45 Millionen US-Dollar geschätzt. Auf diese Weise soll der Erhalt der wichtigsten Nutzpflanzen und ihrer Sorten sichergestellt werden für den Fall einer nuklearen Katastrophe. Eine beängstigende Vorstellung! Aber wir fanden auch Lustiges. So stießen wir bei unserem Bummel auf ein Geschäft mit folgendem Hinweisschild:

"Alle Bären in diesem Laden sind bereits tot, bitte lassen Sie Ihre Waffen beim Personal!"  

Für den Besucher aus Deutschland wirkt all das trotzdem sehr gewöhnungsbedürftig. Eine Vorstellung, wie sich das Leben hier in dieser doch menschenfeindlichen Umgebung anfühlt, haben wir auch nach längerer Lektüre in einschlägige Reiseliteratur nicht. Wir marschierten auf der überschaubaren „Einkaufsmeile“ mit mehreren Läden und Souvenirgeschäften auf und ab, um diese nach Mitbringseln, vor allem für unsere Enkel, abzugrasen. Aber die Preise waren uns zum Teil zu hoch und so verzichteten wir auf kleine Eisbären für 20 oder 25 Euro, stattdessen ergatterte ich im letzten Geschäft noch ein Basecap von Svalbard. Das musste einfach sein!

Zeit für ein paar "Farbkleckse" war aber natürlich auch noch.

Nach etwa drei Stunden Aufenthalt schmerzten die Füße und den Weg zur Svalbad-Kirche ersparten wir uns, auch wenn diese durchaus sehenswert, weil ungewöhnlich gewesen wäre. Hier befinden sich nämlich ein Kamin, Sofas und es gibt heiße Getränke. Letztere würden wir allerdings auch auf unserem Schiff bekommen. Also stiegen wir in den Shuttlebus ein, dessen Tickets mit 5,00 Euro für die Hin- und Rückfahrt durchaus preiswert waren. Von der Dame im Touristencenter hatten wir erfahren, dass sich unweit der Anlegestelle ein Schild befindet, das vor Eisbären warnt. Da war natürlich ein Fotostopp Pflicht.

Kaum an Bord führte der erste Weg auf Deck 8 ins Lido Büffet-Restaurant, wo wir ein paar deftige Snacks zu uns nahmen, bevor wir uns draußen bei der Kopernikus-Bar in das Heer derer einreihten, die nach frischen Waffeln mit Kirschen-Jubilee und Sahne lechzten. Dazu gönnten wir uns einen Lumumba. Ein wahrlich köstliches Vergnügen!

Um 16.00 Uhr wurden die Leinen gelöst, die Artania setzte ihre Reise durch die Eis- und Gletscherwelt Spitzbergens fort. Das nächste Ziel war der Tempelfjord in nordöstlicher Richtung. Zunächst ging es durch den Sassenfjorden, bevor unser Schiff immer langsamer wurde. Während des Abendessens sahen wir dann die ersten kleineren Eisschollen, Eisberge waren hier nicht zu erwarten und solche sahen wir auch nicht.

Nach dem Essen machten wir uns auf den Weg in die hinteren oberen Bereiche. Auf Deck 4 hatte die Crew eine tolle Gletscherbar aufgebaut. Wir suchten uns einen ruhigen Stehplatz auf Deck 5 und beobachteten die Szenerie. Es gab jede Menge zu sehen und zwar nicht nur an Land sondern auch auf dem Schiff.

 

Als der Anker vor dem Tunabreen Gletscher in die Tiefe des Fjordes glitt, sahen wir gebannt auf die Abbruchkante des Gletschers. Das Eis schimmerte in allen möglichen Blautönen und auch wenn unsere Objektive nicht die größten sind, konnten wir herrliche Aufnahmen machen. Der Gletscher wurde auch noch von der Sonne angestrahlt, ein unvergessliches Schauspiel wurde uns hier geboten.

Nach etwas mehr als einer Stunde kam das kleine Boot der Crew zurück, die der Kapitän losgeschickt hatte, um einen geeigneten Eisblock an Bord zu holen, damit die Gäste ihren Whiskey auch mit eintausend Jahre altem Gletschereis genießen können. Der Gletscherparty, die um  21.00 Uhr begann, stand nun endgültig nichts mehr im Weg.

Auf dem Weg zur Bar sahen wir auch noch Kapitän Hansen, der sich dieses Spektakel natürlich nicht entgehen ließ und sich unter die Passagiere gemischt hatte.

Wir reihten uns vor der Bar ein, ich bestellte mir einen Ballantines, ein Getränk, das ich im normalen Leben hartnäckig verweigere. Aber heute musste es einfach sein. Mein Eis war geradezu überdimensional und ragte weit über den Rand des Glases hinaus. Dann suchten wir uns einen Passagier, der uns beide mit den Getränken in der Hand fotografierte. Dieser Augenblick musste unbedingt für die Ewigkeit festgehalten werden.

Und weil wir auch schon rechtschaffen durchgefroren waren, verkrümelten wir uns dann auf die Kabine. Es war jetzt 22.00 Uhr und taghell bei strahlendem Sonnenschein. Wir wussten nicht, wem wir mehr danken sollten heute: dem Wettergott, der uns dieses herrliche Wetter beschert hatte oder dem Kapitän, der diesen unvergleichlichen Platz im Tempelfjord für seine Gäste ausgesucht hatte. Wir würden beide in unsere Gebete mit einschließen.

 

Mittwoch, 18. Juli 2018 (Erholung auf See)

Wir befanden uns unverändert im Reich der Mitternachtssonne. Wenn man also den Vorhang in der Nacht oder am frühen Morgen zur Seite schiebt und man vorzugsweise blaue Farben sieht, spricht Einiges dafür, dass der Tag wieder sonnig verläuft. So war es auch heute Morgen wieder. Um 6.00 Uhr hatte die Artania den Anker vor dem Tunabreen Gletscher aufgenommen, langsam glitt das elegante Schiff durch den Tempelfjorden, anschließend durch den Sassenfjorden und schließlich durch den Isfjorden, bevor der Kapitän die Artania in den Grönfjord steuerte und die russische Bergbausiedlung Barentsburg anfuhr.

Barentsburg liegt etwa 55 km südwestlich von Longyearbyen, es wurde 1932 gegründet. Namensgeber war der holländische Seefahrer Willem Barentzs, von dem der Name Spitzbergen stammt. Die Artania verlangsamte ihr Tempo und auf der nun vor uns liegenden Hügelflanke sahen wir sehr gut die auch hier bunten Häuser. Zur Einstimmung auf die russische Enklave zunächst ein kurzer Film:

Etwa 500 Menschen leben hier. Auch Barentsburg kann seine Historie nicht verstecken, die Zeugen der Kohleförderung sind hier noch sichtbarer als in Longyearbyen, mit dessen Einwohnern man regen Kontakt hält. So spielt man gegeneinander Fußball oder besucht sich mit dem Hubschrauber, im Winter nutzt man für die Besuche dann das Schneemobil.

Ich fand die Vorbeifahrt an dieser Siedlung sehr aufregend. Wir hatten den Eindruck, dass nur wenige Menschen auf der Straße unterwegs waren. Hin und wieder sah man den einen oder anderen Lastwagen sowjetischer Bauart, der Schrott o.ä. transportierte. Dieser wurde unten am Hafen abgeladen, hier oben verrottet bekanntlich nichts. Und auch wenn ich über kein sehr gutes Teleobjektiv verfüge, die Lenin-Büste habe ich doch fotografiert. Sie befindet sich auf dem linken Bild in der letzten Reihe etwa in der Mitte.

Wir machten viele Fotos und als wir die Stadt schon fast passiert hatten, kamen wie aus dem Nichts zwei Zodiacboote mit winkenden Passagieren. Ich weiß allerdings nicht, wo die Boote so plötzlich hergekommen sind.

Mit diesen letzten Eindrücken von Spitzbergen endete unser Abenteuer in diese unwirtliche Gegend aus Eis und Schnee. Aufregende Stunden lagen hinter uns, in denen wir mit fantastischen Ausblicken bei strahlendem Sonnenschein belohnt worden sind. Die Artania nahm nun Kurs auf Honningsvag, dem Tor zum Nordkap.

Der Nachmittag plätscherte ohne weitere Vorkommnisse so dahin, die Artania tauchte ein in eine Wand aus Nebel und Wolken. In diesen Breitengraden ist das offensichtlich ganz normal und rückblickend betrachtet erschienen uns die Sonnenstunden der vergangenen eineinhalb Tage wie eine Offenbarung.

Das Abendessen nahmen wir wie üblich im Vier Jahreszeiten ein. Rechts hinten erwarteten uns Alwyn und seine Kollegen bereits. Auch die Gäste waren meistens die gleichen und so hatten sich in den letzten Tagen „feste Tischrunden“ ergeben, nach zehn oder elf Tagen auf See pendelte sich das eben so ein. Heute gab es, der Chefköchin aus Österreich sei Dank, ein Schnitzel nach „Wiener Art“ mit Preiselbeeren, Gurkensalat und Salzkartoffeln. Es war butterweich und nicht durchzogen, ein Hochgenuss. Als Dessert wurde mir heute „Gebackenes Spritzgebäck mit Cointreau-Aprikosen und Schokoladeneis“ serviert. Ebenfalls sehr lecker.

Derart gestärkt konnten wir uns mühelos an der Atlantik Show-Lounge anstellen. Heute war mit erhöhtem Besucherandrang zu rechnen, denn das Showensemble würde ein Konzert mit den unvergessenen ABBA-Songs geben.

Und richtig: bereits 70 Minuten vor Beginn der Show wurden die Türen zur Atlantiklounge geöffnet und die ersten Gäste stürmten die vorderen Sitzreihen. Allein das zeigt die hohe Erwartungshaltung der Zuschauer, die nach den wirklich formidablen Darbietungen noch höher geworden sind. Die wurden auch diesmal wieder mehr als erfüllt. Vor allem die zwei Damen des Ensembles begeisterten mit ihren Stimmen, ihrer Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Die zahlreichen ABBA-Fans kamen alle auf ihre Kosten. Mamma mia, Souper Trouper, Dancing Queen und natürlich Waterloo, um nur einige Hits der vier unvergessenen Schweden zu nennen, lösten wahre Klatschorgien aus und nach einer Stunde Show sah man nur lachende Gesichter. Der Kreuzfahrtdirektor, der am Eingang zur Atlantic Lounge stand, strahlte ebenfalls und war mit Recht stolz auf seine Ehefrau Kathrin Wiedmann-Gleiß, die das Unterhaltungsprogramm auf der Artania auf die Beine gestellt hat.

Zum Late-Night-Snack ließen wir uns natürlich ebenfalls nicht lange bitten, denn heute gab es neben den immer verfügbaren Obstspießen und Käsestückchen auch Würstchen im Schlafrock. Auch heute Nacht würde die Sonne nicht untergehen, wir befanden uns unverändert nördlich des Polarkreises und hatten daher die nicht ganz unberechtigte Hoffnung auf Sonne am Nordkap, das wir morgen erreichen würden.

 

Start Reisebericht Honningsvag Jan Mayen

 

Mit einem letzten Bild des einzigartigen Tunabreen Gletschers beenden wir unseren Besuch auf Spitzbergen:

 

 


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