Bei der folgenden Geschichte erwartet den Leser ein echter Beststeller. Die Story wurde insgesamt zehnmal veröffentlicht, u.a. in der Romanwoche, in der Leipziger Volkszeitung und im österreichischen "Granatapfel".

Zurück zur Natur

Seit Jahren leben wir nun bereits in dieser Trabantenstadt am Rande unseres Heimatortes. Links sechsstöckige Wohnblocks, rechts sechsstöckige Wohnblocks und wir mittendrin, auch in so einem Silo im fünften Stock. Die Aussicht vom Balkon ist entsprechend. Im Gegensatz zu vielen anderen Familien haben wir es zweifellos noch gut getroffen, immerhin gehört uns die Wohnung, aber unsere Naturverbundenheit können wir allenfalls dadurch beweisen, dass wir das "Betreten verboten"-Schild auf der kleinen Grünanlage vor dem Block ignorieren und quer über den Rasen marschieren, wenn wir zum Hauseingang gelangen wollen.
Auch das fußballerische Talent unseres Sohnes muss vor solch hausmeisterlicher Allgewalt zwangsläufig verkümmern. Eine Annonce in der Lokalzeitung ließ uns daher aufhorchen: "Kleingartenverein hat noch Parzellen am Ortsrand zu vergeben. Nähere Hinweise unter Telefon-Nummer 111 22".

Allein schon die Beschreibung "Garten am Ortsrand" löste bei uns schiere Verzückung aus. Kein Gestank mehr von vorbeifahrenden Autos, vom Lärm dieser Vehikel ganz zu schweigen. Kein enger Balkon, der eher einem Abstellraum gleicht und für ein Sonnenbad nur unzureichend geeignet ist.
Meine Gattin, in solchen Situationen stets um rasches Handeln bemüht, reichte mir denn auch gleich den Telefonhörer und wählte sogar die angegebene Telefonnummer für mich. Eine tiefe, honorige Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung, durchaus sympathisch, wie ich fand. Ob wir denn schon einmal einen Garten besessen hätten, wollte die Stimme wissen, in diesem Fall würden wir ja bereits eine Menge Erfahrung mitbringen. Die wäre nötig, um ein Häuschen zu bauen und Wege und Beete anzulegen, und überhaupt würde ein Kleingarten viel Arbeit bedeuten. Aber es seien auch Anfänger herzlich willkommen, betonte mein Gegenüber. Wir einigten uns schließlich auf einen Termin, um die Anlage erst einmal in Augenschein zu nehmen und uns einen ersten Eindruck zu verschaffen. Die strahlenden Augen meiner Gattin und meines Sohnes sagten jedoch schon alles. Sie konnten es gar nicht mehr erwarten, "ihre" Parzelle zu besichtigen.

Die nächsten Tage Über schmiedeten wir die tollsten Pläne wie wir den Garten anlegen wollten. Da wurde ein kleiner Teich auf kariertes Papier gezeichnet, ein Rosenbeet aufgemalt, und vor dem geistigen Auge wuchsen die ersten selbstangebauten Tomaten. Was spielte es da schon für eine Rolle, dass ich vom Gartenhausbau keine Ahnung hatte und die finanziellen Mittel für dieses Vorhaben in keinster Weise vorhanden waren? Das würde sich alles finden, wenn wir erst stolze Gartenbesitzer waren. Eigentümer einer "grünen Lunge" , wie diese Anlagen so gern bezeichnet werden, in der man nach Herzenslust geballte Natur mit ihrer Ruhe und Beschaulichkeit in sich aufsaugen kann ...
Dann war es endlich soweit. Zusammen mit dem Herrn, dessen Stimme ich bislang nur vom Telefon kannte und der sich nun als Vorstand des Vereins vorstellte, fuhren wir Richtung Autobahn, deren Trasse am westlichen Ortsrand vorbeiführte. Kurz vor einem Tunnel, der unter der Autobahn hindurchkroch, bogen wir links ab. Der nun folgende holprige Feldweg konnte unserer guten Stimmung keinen Abbruch tun. Und dann sahen wir sie: Die braungestrichenen Gartenhäuschen und am Rand die dort ebenfalls vorbei laufende Eisenbahnstrecke. Fünf Jahre hatte es gedauert, schrie uns der Vorstand entgegen, bis die Gemeindeverwaltung dem Verein endlich ein geeignetes Gelände zur Verfügung stellte. Seine Ausführungen gingen im Lärm der vorbeirasenden Autos unter, und die weitere Besichtigung verlief schweigend. Da der Boden auf dem Gelände durch die Regenfälle der letzten Tage stark aufgeweicht war, wateten wir bis zu den Knöcheln im Schlamm. Aber was machte dies alles jetzt, da wir in unserem Garten standen, noch aus? Momentan erinnerte er zwar eher an einen Truppenübungsplatz. Besonders wenn man die Bodenunebenheiten und das meterhohe Unkraut betrachtete, drängte sich dieser Eindruck auf. Doch das würde sich schnell ändern.

"Wenn sie Ruhe und Entspannung suchen" , rief der Vorstand mit deutlich gehobener Lautstärke, weil gerade ein Zug vorbeirauschte, "ist dieser Platz ideal!"
Voller Dankbarkeit sahen wir den Mann an, der den trostlosen Feierabenden und den langweiligen Wochenenden einen neuen Inhalt gab. Keine Betonsilos mehr, keine bedrohliche Enge, nur noch Frieden und Natur. Und alle zehn Minuten ein Zug!

Und? Noch Lust auf einen Kleingarten? Dann rufen Sie doch die obige Telefonnummer an. Sagen Sie einfach, Sie kämen auf meine Empfehlung. Viel Glück!

 

 

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