Besuche im Krankenhaus sind nicht Jedermanns Sache. Manchmal sind sie allerdings unvermeidlich, z.B. dann, wenn ein ganz lieber Mensch entbindet. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten, sich zu drücken. Lesen Sie selbst! |
Ein unvermeidliches Gespräch
"Hast du es schon gehört? Frau Schönhuber hat vor ein paar Tagen entbunden. Ein Mädchen. 3.500 Gramm schwer. Die sollten wir eigentlich besuchen", sagte meine Frau. Sie vergaß zu erwähnen, dass damit in erster Linie ich gemeint war. Deshalb rief sie mich extra im Büro an, weil sie genau wusste, dass ich Frau Schönhuber auf den Tod nicht ausstehen kann.
"Das ist ja ein schöner Brummer. Sieben Pfund. Da brauchen sie ja ein Doppelzimmer", erwiderte ich mit einem leichten Anflug von Sarkasmus.
"Es reicht, wenn du sie auf der Wöchnerinnenstation auf Zimmer 108 besuchst. Tu mir einfach den Gefallen. Du brauchst ja dort nicht zu übernachten. Ein kleines Geschenk, ein bisschen Smalltalk und nach fünf Minuten kannst du wieder gehen. Okay?"
Ich fügte mich also in das Unvermeidliche. Krankenhäuser sind für sich betrachtet schon schlimm genug, aber in Kombination mit Frau Schönhuber sind sie geradezu unerträglich. Frau Schönhuber ist unsere Nachbarin und sie versorgt die Kinder immer rührend, wenn sie mal früher von der Schule heimkommen und meine Frau noch nicht da ist. Trotzdem kann ich sie nicht leiden. Diese aufgesetzte penetrante Freundlichkeit ist mir einfach zuwider. Aber fünf Minuten werde ich schon überstehen! dachte ich.
Nach der Arbeit radelte ich also in die Altstadt zu "Feinkost Drechsler" und erstand einen Obstkorb für 15,00 Euro, das musste reichen. Dann fuhr ich weiter Richtung Kreiskrankenhaus, das zum Glück am Weg lag. Die Entbindungsstation war im ersten Stock. Zimmer 108 war auch schnell gefunden. Ich setzte mein schönstes Lächeln auf, klopfte einmal kurz an, öffnete die Tür und trat ein. Der Raum war mit Besuchern beinahe überfüllt. Mit Mühe und Not konnte ich die zwei Frauen ausmachen, die offenbar erst kürzlich Mutter geworden waren. Frau Schönhuber war allerdings nicht dabei.
Eine Stationsschwester, die zufällig nach dem Rechten sah, schüttelte auf meine Frage nach unserer Nachbarin auch nur bedauernd den Kopf: "Tut mir leid, mein Herr, eine Frau Schönhuber haben wir hier nicht auf der Station. Da bin ich mir ganz sicher."
Eine Rückfrage beim Pförtner bestätigte die Aussage der Schwester. Ich machte mich also unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg, ohne besonders traurig zu sein.
"Warst du noch gar nicht im Krankenhaus?" fragte Silvia überrascht und zeigte auf den immer noch schön verpackten, aber schon leicht lädierten Obstkorb.
"Doch. Schon. Aber eine Frau Schönhuber kennt dort niemand. Ich habe sicherheitshalber die Stationsschwester und den Pförtner gefragt."
"Das gibt’s doch nicht. Städtisches Krankenhaus, 1. Stock, Zimmer 108", wiederholte Silvia.
"Oh mein Gott. Das darf doch nicht wahr sein", stammelte ich und schlug mit der flachen Hand auf die Stirn, "ich war im Kreiskrankenhaus. Kein Wunder, dass sie dort keine Frau Schönhuber kannten."
"Du schaffst es doch immer wieder, dich zu drücken", rügte mich Silvia. Und lachend fügte sie hinzu: "Morgen wird sie nämlich entlassen, aber sie hat versprochen, uns gleich am Nachmittag auf eine Tasse Kaffee zu besuchen. Wie gut, dass du frei hast ..."
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